Die Journalistin Jeannette Hagen hat ein Buch über Vaterentbehrung geschrieben. In „Die verletzte Tochter*“ erzählt sie nicht nur einen Teil ihrer eigenen Geschichte, sondern beleuchtet das Thema aus gesellschaftlicher Sicht. Vaterentbehrung ist ein Phänomen, das sich rückblickend durch viele Generationen zieht. Sie prägt unsere Gesellschaft und die Art, wie Männer und Frauen miteinander umgehen und wir würden gut daran tun, ihr mehr Öffentlichkeit zu geben, so die Autorin.
Ist jedes verlassene Mädchen zwangsläufig eine verletzte Tochter?
So pauschal kann man das natürlich nicht sagen. Trotzdem berichtet Jeannette Hagen* aus ihrer persönlichen Erfahrung von Versagerängsten, fehlendem Urvertrauen, Selbstwert- und Beziehungsproblemen.
Folgen, die mittlerweile jetzt, da die Vaterforschung langsam aus den Kinderschuhen wächst, vielfach belegt sind. Das Spektrum an Auswirkungen ist sogar noch wesentlich breiter und betrifft natürlich nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen, die Vaterentbehrungen erleben oder erlebt haben.
Es umfasst schwere bis leichte Traumatisierungen, die sich unmittelbar, aber auch später im Erwachsenenalter im gesundheitlichen, psychosozialen, im privaten und auch im beruflichen Kontext bemerkbar machen können.
Dabei spielt es allerdings eine wesentliche Rolle, in welchem Umfeld das Kind aufwächst, wie die Bezugspersonen – speziell die Mutter – über den Vater sprechen und ob noch weitere Belastungen die Entwicklung des Kindes beeinflussen. Mädchen reagieren mehr „nach innen“, während Jungen ihre Traurigkeit oder Zerrissenheit oft durch aggressives Verhalten nach außen zeigen.
Mädchen, die ohne Vater oder mit einem Vater, der seine Rolle nicht einnimmt, erwachsen werden, haben oft Schwierigkeiten, in eine wirklich gereifte Frauenrolle zu wachsen. Sie bleiben nicht selten das kleine Mädchen, das später im Partner den Vaterersatz sucht. Oder sie spalten ihre Gefühle ab, legen sich einen Panzer zu, werden zur „Amazone“ und setzen auf Leistung und Macht. Was sie alle eint, so Jeannette Hagen, ist die Verletzung, die später häufig nach außen projiziert wird, indem Väter und Männer von Frauen abgewertet werden.
Wollen Väter denn heute eine tragende Rolle in der Erziehung spielen?
Auch darauf findet man im Buch „Die verletzte Tochter“ Antworten. Natürlich hat sich das Rollenverständnis von Männern und Frauen verändert. Viele Väter wollen heute Zeit mit ihren Kindern verbringen und auch die Zahl der alleinerziehenden Väter steigt kontinuierlich an. Trotzdem gibt es sie – die Väter, die sich heraushalten, die den Kontakt zu ihren Kindern abbrechen oder ihn nie aufnehmen, so wie im Fall der Autorin.
„Es gibt die Väter, die schwach oder brutal sind, genauso wie es jene gibt, die tricksen, um weniger oder gar keinen Unterhalt zu zahlen.“ schreibt Jeannette Hagen. Weiter meint sie allerdings, „dass Männer, wenn man auf sie zugeht, aktuell eher dazu bereit sind, auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren und an sich zu arbeiten, indes viele Frauen ein Bollwerk aus Abwehr auffahren, um nach wie vor ihre verletzte Weiblichkeit zu schützen.“
Was tun, wenn man eine verletzte Tochter oder ein verletzter Sohn ist?
Vor der Auseinandersetzung muss zunächst einmal die Einsicht kommen, dass man überhaupt verletzt ist. Die Chance bietet sich immer dann, wenn wir in Krisen stecken. Hinter so manchen Konflikt mit dem Chef, dem Ehepartner oder dem eigenen Kind kann sich die Wunde Vaterentbehrung verbergen.
Die Autorin beschreibt in ihrem Buch sehr eindringlich, wie sie selbst in einer Therapiestunde zu der Erkenntnis gelangt ist, dass ihr ablehnender leiblicher Vater hinter ihren Alltags- und Beziehungsproblemen stecken könnte. „Aber noch etwas anderes Merkwürdiges geschah, denn plötzlich war er da.
Der leibliche Vater. Spürbar, auf unheimliche Art und Weise präsent.“ Von da an begibt sie sich auf die Suche nach ihm und fängt an zu begreifen, dass nur sie selbst das Werkzeug hat, sich aus der negativen Verstrickung mit zu lösen.
Es kommt sogar zu einer Begegnung, die jedoch nur bestätigte, was auch vorher schon deutlich war: der Vater will keinen Kontakt. Auch diese Einsicht kann heilsam sein, so Jeannette Hagen*. Ihr gab sie den Anstoß, das, was sie sich von ihm gewünscht hätte, in sich selbst zu suchen.
Die Bestätigung als Mensch gewollt und geliebt zu sein. Der Weg bis dorthin war mühsam und die Autorin beschönigt die Tatsache, dass es anstrengend und aufreibend ist, sich seinen Verletzungen zu stellen, keinesfalls. Trotzdem ermutigt sie zu diesem Weg, weil er ihrer Ansicht nach der einzige ist, um den Teufelskreis der Vaterentbehrung zu durchbrechen.
Zum Wohle der Kinder
Vaterentbehrung ist ein Thema unserer Zeit und bei allen Kämpfen, die zwischen Ex-Partnern ausgetragen werden, sind nicht nur die Eltern selbst Leidtragende, sondern vor allem die Kinder. Sie stehen im Epizentrum der Konflikte, werden vor Gerichte gezerrt, müssen sich anhören, wie Mütter oder Väter schlecht über den Ex-Partner reden oder erleben mit, dass um sie wie um eine Ware gefeilscht wird.
Kinder gelten heute nicht nur für alleinerziehende Frauen als Armutsrisiko, sondern ebenso für viele getrennt lebende Männer, die hohe Unterhaltskosten zahlen und oft noch Geld oben drauf legen müssen, um den Kontakt zu ihren Kindern einzuklagen.
Das schafft zusätzliche Gräben und bringt das Kindeswohl nicht einen Deut voran. Jeannette Hagen* plädiert dafür, statt zu kämpfen, die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen, sie zu kommunizieren und sich vor allem, darum zu kümmern.
Ihrer Ansicht nach müssen Mütter und Väter viel mehr die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen, statt die Schuld auf dem anderen abzuladen. „Es liegt in unseren Händen, und es ist die Aufgabe jedes Einzelnen, dieses Leid zu transformieren und damit den Teufelskreis der Wiederholungen endlich zu durchbrechen.“ so die Autorin am Ende des Buches.
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